Die 7. Dimension

1. Kapitel

...und so wachte ich mal wieder auf und ein neuer Tag begann... Ich dachte mir, es wäre ein Scheißtag, doch es war ein guter Tag, denn ich hatte frei. Erst mal aufstehen. "Uaaahhh!", war ich noch müde! Ich leg mich nochmal hin. Ach nein, lieber doch nicht. Ich ging zu meinem Computer und legte den Telefonhörer auf den Koppler. Nummer getippt, und schon bin ich in der Chat Noir.

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stand auf dem Bildschirm. Ich war kein Gast. Ich war mir völlig klar. Wie konnte mich das System mit einer solchen, derart frechen Aufforderung begrüßen? Der Tag war versaut! Na gut, dachte ich mir und gab irgendeinen Namen an. Dann wurde ich zu einem Teil des Systems gebeamt, wo ich noch nie war: "Online-Realtime-Adventure" wurde mir mitgeteilt.

Auf sie wird in diesem Moment ein Annihilator-Roboter losgelassen.
Setzen sie sich geschickt zur Wehr - sie könnten es sonst bereuen.

"Ha!" rief ich in die leere Wohnung. Sehr ulkig, dachte ich mir. In diesem Moment blinkte auf dem Bildschirm:

System offline.

Grrr... ein schlechter Scherz von Brutus. Da zahlt man doch echt 23 ganze Pfennige für einen Anruf und wird noch in der gleichen Minute beleidigt, verarscht und zu guter letzt auch noch hochkant 'rausgeschmissen! Toll, dachte ich mir. Was nun? Ich habe frei und nix zu tun. Was könnte ich anderes machen, als in der Chat Noir zu koppeln? Ich hatte in diesem Moment kein Lebensziel mehr. Ich werde erstmal duschen. Im Badezimmer angekommen, klopft es auch schon an der Tür: "Klopf, klopf!" Ich mache noch halbverschlafen auf, und wer steht vor mir? Irgendso ein Typ! Wahrscheinlich will er mir jetzt noch Zeitschriften andrehen!

2. Kapitel

"Hallo!" sagt er, "ich bin Eigor!" "Eigor?" echote ich ungläubig und dachte unwillkürlich an einen Mel Brooks-Film. "Ja, es klingt doof, aber so hieß mein Vater auch!" sprach er, "Meine Mutter hieß Lotte Bundbaum." "Und?" fragte ich ihn, "wollen sie Zeitschriften verkaufen?" "Nein ich bin gekommen um dich vor Morozam zu beschützen!" Gottverdammt, dachte ich mir. Eigor? Morozam? Lotte Bundspecht? Was sind denn das für Typen? Er unterbrach meine Gedanken: "Wir müssen weg! Keine Zeit für lange Erklärungen! Er wartet nicht!" "Wer wartet nicht und wer bist du?" fragte ich ihn. Er hatte eine rote Nase, sah aber sonst wie ein ganz normaler Durschnittseuropäer aus. "Ich sagte es dir bereits: Ich bin Eigor! Mein Wagen wartet. Los komm!" sprach er mit erregter Stimme zu mir. Wer war das wirklich? Ich glaubte seine Story von Morokram und Konsorten nicht und deshalb wollte ich auch nicht mit. Ich dachte einen Moment nach, und entschloß, doch mitzukommen. Ich hatte ja wie immer eh nix besonderes vor, momentan keine Freundin und tierisch Langeweile: "Ok! Ich komme! Was krieg' ich dafür?" Er schluckte und meinte: "Was du dafür kriegst? Dein Leben darfst du behalten, du Narr!" Hmmm... Ich war total unsicher, weil ich echt nicht wußte, was er meinte. Sollte es... mir stockte der Atem. Sollte die Chat Noir einen Ausgang in eine andere Dimension besitzen? Mir schien es fast so. Ich nahm noch meine wichtigsten Sachen mit. Ich steckte meinen Schlüssel, meine Brieftasche und meine Zigaretten in die Hosentasche und schon konnte es losgehen. Hatte ich noch etwas vergessen? "Komm endlich!" sagte Eigor. Doch ich hatte mein Feuerzeug vergessen! Ich holte es noch schnell und wir rannten los. "Hast Du einen Wagen?" fragte ich ihn. "Ich habe etwas viel besseres!" so seine Antwort. Wir waren am Hauseingang, wo ich ihn fragte, wo denn nun sein Wunderding sei, da ich auf dem Parkplatz hinter dem Haus keinerlei Fahrzeuge entdecken konnte. "Hier ist es! Du kannst es nicht sehen, aber es ist da!" Science Fiction, dachte ich. "Wo ist es denn?" Da gehe ich nun mit einem wildfremden Irren aus dem Haus, der mir weismachen will, daß es unsichtbare fliegende Untertassen gibt. Dabei wußte ich genau: UFOs sind sichtbar - ich kenne alle Perry Rhodan-Romane! Dann unterbrach er wiederum meine unsichtbaren Gedanken. "Los! Leg Dich hier hin!" Was ist das? Ein Überfall oder was? Ich verstand nur noch böhmische Bahnhöfe, aber ich tat was er wollte.

3. Kapitel

Es gab einen Ruck und ich schwebte! Auf dem Rücken liegend schwebte ich über unseren Mieterparkplatz! Ich bekam kein Wort 'raus. Eigor sagte: "Na? Wie gefällts dir?" Ich war platt! Sowas irre Realistisches hatte ich noch nie geträumt! Ich erinnerte mich an unzählige Comics und Filme und sagte: "Kneif mich mal!" Er tat es und es tat es: nämlich weh! Ich war fest davon überzeugt, zu träumen aber ich war wach. Es war fantastisch. Ich schwebte in Richtung U-Bahnhof Neu Westend in 15 Metern Höhe über dem Erdboden. Menschen gingen unter uns. "Können die uns nicht sehen?" fragte ich. "Nein, das ist alles ziemlich schwer zu erklären", sagte er zu mir, "verstehst Du was von extensiver Ionenverschmelzung?" Ich mußte ihm mit "Nein" antworten, obwohl ich im Chemie-Leistungskurs war. Jedenfalls war es irre, so durch die Gegend zu kutschieren. Wir waren jetzt am Theodor-Heuss-Platz und ich war etwas gelockerter. Erst jetzt fiel mir auf, daß alles stillstand. Deshalb mußte ich Eigor wieder fragen: "Warum ist das so?" "Ich dachte, Du verstehst nichts von Ionenverschmelzung?" "Nein", gab ich zu, "aber steht die Zeit still oder so?" Darauf er: "Nein, nein! Wir bewegen uns nur zwischen der Zeit. Das heißt, in dieser Dimension dauern sechs Stunden in der Wirklichkeit nur 1.3297 Sekunden! Alles klar?" Das verstand selbst ich. "Laß uns bei Burger King vorbeischauen!" schlug ich vor. "Wir haben keine Zeit! Denk' an Morozam!" Wir kamen gerade am U-Bhf. Kaiserdamm vorbei. "Warum fliegst Du diese Stecke?" fragte ich ihn. "Ich kenne mich in Berlin nicht gut aus. Deshalb fliege ich immer an der U-Bahn entlang. Ich habe ein Streckennetz-Heft, da kann ich nachsehen." Ich fragte: "Ja aber, wohin?" "Nach Ost-Berlin! Morozam kann uns nur zu Fuß folgen, und es wird selbst für ihn nicht einfach sein, dorthin zu kommen..."

4. Kapitel

Wir änderten unsere Route und flogen nicht mehr der U-Bahn-Linie 1 entlang. An der Deutschen Oper bogen wir nach rechts ab. "Wir steuerst Du uns denn?" fragte ich. Es kam mir vor, als wenn ich schon 100 Fragen gestellt hätte. "Niemand steuert. Wir denken im Unterbewußtsein an einen guten Fluchtweg und werden so geleitet." "Aha" meinte ich, deshalb die Kursenderung! Ich habe nämlich Hunger und dieser Weg führt zu Burger King! Sag' mal, hast Du nicht die Gabe, einen Doppel-Whopper mit Käse herzuzaubern? Oder gleich zwei?" "Ich bin kein Zauberer, ich bin nur Bewohner einer anderen Dimension." "Ja aber wenn wir uns jetzt in dieser Dimension aufhalten, und dieser Mordskram auch, dann kommt der doch locker über die Grenze!" "Haha! Gut kombiniert! Das ist aber das gute an der 7. Dimension! Die Realzeit holt uns nach Verlassen der 7. Dimension wieder ein, ohne daß wir es merken!" Hmmm... da war ich wohl wieder mit meinem Latein am Ende. Das verstand ich nicht mehr...

5. Kapitel

"Wir haben doch noch Zeit! Morozam ist jetzt erst bei Dir!" "Bei mir? Was will er denn da? Mein Kühlschrank ist leer." Eigor sah mich mit grimmigem Grinsen an: "Er will Dich! Das müßtest Du wissen. Das ist kein Spiel hier! "Kein Spiel? Wieso hieß es dann erst, Mailboxen sind Spielplätze für Erwachsene ?" "Die Mailbox war doch nur ein Tor zu unserer Dimension! Durch Ultrarot- bis Ultraviolettwellen kam Morozam zu Euch!" Ich war wieder an meiner Verstandsgrenze. "Hmmm... Aber warum will er gerade mich?" "Nun ja, da ist so eine Randerscheinung. Hat mit der Entstehungsgeschichte unserer selbst geschaffenen Dimension zu tun. Verstehst Du aber sowiso nicht." Jetzt hält er mich auch noch für doof! Zu dumm, daß ich auch ausgerechnet an meinem freien Tag in so eine Geschichte hineingerate. Oh, ich glaube wir sinken! Ob das Absicht ist? "Hier kannst Du noch etwas essen! Aber bezahl' auch!" meint Eigor. Wir stehen vor dem Burger King am Kudamm. "Bezahlen? Ich hab' keine Kohle! Außerdem merkt das eh' keiner, wenn da ein Cheeseburger fehlt!" Ich gehe nun hinein und was sehe ich? Warme Cheeseburger! Ich schnappe mir einfach mal einen! Wir schon keiner merken... So nach ca. zehn Minuten fehlen 6 Cheeseburger bei Burger King und eine junge Dame hat eine Zigarette weniger. "Ich muß meine doch sparen! Wer weiß, wie lange wir noch unterwegs sind!" entschuldige ich mich bei Eigor. "Du kannst während des Fluges rauchen." sagt er und schon geht es wieder los. Diesmal heben wir so schnell ab, daß mein Magen kribbelt. "Woher weißt Du eigentlich, wo Morozam gerade ist?" "Ich weiß es nicht, ich glaube es! Aus Erfahrung lernt man viel." Ich bin entsetzt: "Waaas? Wie oft machst Du denn solchen Firlefanz mit?" "Naja, so alle drei Tage. Kommt darauf an, wie oft gespielt wird." "Dir muß man aber auch alles aus der Nase ziehen! Wer spielt was?" "Nun, es gibt in der 7. Dimension mehrere Realtime-Adventures: Menschenjagd - darin befinden wir uns gerade, Agentenaustausch und Liebestunnel." Toll, dacht ich mir mal wieder. Ich bin ausgerechnet in "Menschenjagd". Warum nich in "Liebestunnel"? Eigor meint:"Das sind die unauffälligsten Sachen. Man könnt auch Weltkrieg oder Schiffe versenken spielen, das wäre aber zu riskant, denn wenn wirklich mal ein Fehler im Dimensionsschleusenprogramm ist, dann aber 'Gute Nacht!'" "Das stimmt! Sehr rücksichtsvoll von Euch!" Gerade schwebe wir über den Tauentzien. "Wie schnell fliegen wir denn so?" "Naja, daß komm ganz auf den Rotationstransdimmer an; so 50 bis 80 km/h?" "Jaja, das könnte hinkommen! Wenn wir doch bloß mehr Zeit hätten! Ich wäre soooo gerne mal um den i-Punkt geflogen oder hätte im Zoo ein unbewegliches Nashorn gestreichelt !" "Tja", meint Eigor, "vielleicht gibt Morozam auf. Das kommt auch manchmal vor." "Wie können wir uns denn überhaupt gegen ihn wehren?" frage ich Eigor. "Hmmm... Wehren kann man sich nicht! Man muß flüchten und insgesamt 48 Stunden aushalten, ohne annihiliert zu werden." Ich bin schockiert: "Uff! 48 Stunden! Ganz schön lange! Ich muß morgen arbeiten!" "Was willst Du denn lieber? Arbeiten oder Leben?" Er hat mich in eine Falle gefragt! Ich kann nicht mehr zurück!

6. Kapitel

Endlich am Brandenburger Tor. Alles still. Schade, daß ich nirgendwo einen gerade im Flug befindlichen Vogel entdecken kann! "Jetzt sind wir drüben! Hier sind wir vorerst sicher", meint Eigor. "Ich hab keine Böcke mehr, dieses dumme Spiel zu spielen! Außerdem ist's im Osten zu langweilig! Da hätte ich von der Chat Noir mehr gehabt!" Plötzlich wirkt Eigor erstaunt und ruft mit aufgeregter Stimme: "Chat Noir! Das ist's! Das Programm ist gut! Dieses Programm ist gut, das kenne ich. Das gleiche Spiel gab's schon mal! Warum hast Du das nicht gleich gesagt?" "Was habe ich nich gleich gesagt?" "Na daß Du in der Chat Noir koppelst! Das Spiel "Menschenjagd" läuft nur so lange, wie Du online bist! Bei der Chat Noir gibt es eine Spezialfunktion, um aus der Dimension zu kommen! Wir müssen also nun einen Hacker finden, um in die Chat Noir zu kommen!" "Hier im Osten? Im Westen ist's am besten! Und wer sagt, daß nicht gerade besetzt ist?" Darauf Eigor: "Heute ist doch Mittwoch, da koppeln nicht viele!" Und schon gehts wieder los - wir fliegen zurück. Wieder auf dem Kudamm, klappern wir die Wohnungen ab! Drei Computerfreaks haben wir gefunden - doch alle ohne Modem oder Koppler. Aber wir geben nicht auf!

7. Kapitel

Endlich! Wir haben einen einsamen 64er mit Koppler entdeckt! Ein Modell von Ascom!

3.8.2.2.6.9.9...

besetzt. Mist! Nochmal!

3.8.2.2.6.9.9...

...pieeeep! Beim zweiten Anruf ist frei! Jetzt heißt es warten... "Der Username ist das Wichtigste!" ruft Eigor. Meine Finger fliegen über die Tasten - jetzt ich bin in der Chat Noir! "Und jetzt gleich wieder ausloggen! Schnell!" Es poltert und mit einem irren Krach wird die Tür eingeschlagen. "Los! Schnell!" "Jaja! Ich tipp' ja schon!"

BYE

und auf einmal ist Ruhe. "Eigor! Eiiiiiigor! Eigor?" Nichts... er ist verschwunden!

Ich bemerke das Rauschen der Autos auf der Straße! Ich bin wieder in der Realität! Sofort laufe auf die Straße und bin genau gegenüber von Burger King am Wasserklops. Alles ist wieder normal. Und es ist erst zehn Uhr! Zeit für's Frühstück. Schätze, diesmal muß ich wohl bezahlen...


Aus der © CHAT NOIR Mailbox: www.chatnoir.de und online unter diesen Rufnummern
Erste Veröffentlichung: 12.10.1988 von Mr. L
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