Wir kaufen einen Atari

Lest, wie ein überzeugter West-Berliner doch noch seine ganz persönliche Wiedervereinigung mit der 'Zone' feiern konnte.

SUPER!!! WAHNSINN!!! UNFASSBAR!!!

Jeder gelegentliche oder regelmäße Atari-Benutzer weiß inzwischen, daß es nahezu unmöglich ist, einen Atari oder die dazugehörige Software auf konventionellem Wege in einem Geschäft zu kaufen - es gibt günstigtenfalls Beratungsmuster und auch die nur gegen saftiges Bakschisch.

Nach stundenlanger, aufopferungsvoller Detektivarbeit ist es mir gelungen, innerhalb des Stadtgebietes von Berlin (erweitert) ganze fünf Atari-Computer zu finden, die ganz normal zum Verkauf standen.

Es handelt sich nicht etwa um Gebrauchtgeräte in der Zweiten Hand sondern um originalverpackte Neugeräte, die in einem Geschäft verkauft werden sollten. Unfaßbar!!! D.h., jetzt sind es nur noch maximal vier, denn einen der seltenen TTs habe ich mir gleich mitgenommen.

Ich kann es noch gar nicht fassen, der Verkäufer gab ihn mir gegen lumpiges Bargeld mit und freute sich darüber sogar noch so sehr, daß er mir das Gerät noch zum Auto trug und in den Wagen packte.

Der verwunderte Leser wird sich jetzt sicher fragen, ob es vielleicht an meinem einzigartigen Charme liegen kann, ob ich evtl. mit einem gezückten Revolver vorsprach und mein Anliegen, einen TT zu kaufen vortrug. Der Kenner hingegen weiß, daß selbst eine Panzerfaust nicht in der Lage ist, die feuerfeste Arroganz der Atari-Desktop-Publishing-System-Centralisten zu durchschlagen und sie zu einer anderen Äußerung als "Ham-wa-nich-könnwa-aba-bestelln" zu veranlassen.

Jedermann weiß, daß ich mit Sicherheit ein hauptberuflicher West-Berliner bin, der die Rolle eines gewissen Motzki sozusagen aus dem Bauch heraus spielen könnte. Nachdem ich mir also von allen unseren wunderbaren und unfehlbaren Atari-Desktop-Publishing-System-Centralisten das bekannte und beliebte "Ham-wa-nich-könnwa-aba-bestelln" angehört hatte - das überhebliche Grinsen des Trägers der kleinen Macht konnte ich auch ohne Bildtelefon förmlich sehen - überkam es mich.

Es war völlig klar, die Telefonnummer fing mit 5 an, aber trotzdem wählte ich weiter, ich weiß, es ist mir peinlich, man macht sowas ja nicht, lieber fährt man bis Hannover, aber auch da war kein TT vorrätig. "Ham-wa-nich-könnwa-aba-bestelln", diesmal auf niedersächsich.

Also eine Fünfer-Nummer. Eine Stimme am anderen Ende der Leitung fragte nach meinem Begehr, hörte sich fast an, wie einer von hier, kein sächsischer Slang. Etwas gehemmt ob des Landesverrates, den zu begehen ich im Begriff war sagte ich dem Mann am anderen Ende der Leitung, daß ich einen TT haben möchte und fragte, ob er vielleicht einen zu verkaufen hätte.

Er sagte, selbstverständlich hätte er welche zu verkaufen, schließlich lebe er davon und wiewiele ich denn haben möchte. Als der Mann mir dann noch sagte, heute sei langer Donnerstag und da halte er seinen Laden selbstverständlich bis 20.30 Uhr geöffnet, fiel mir die Zigarette aus der Hand, derartige Sätze hatte ich im Zusammenhang mit Atari-Hard- oder Software noch nie gehört.

Landesverrat hin, Stasi-Seilschaften her; selbst die Gefahr durch die allgegenwärtigen Skinhead-/Autonomen-Horden ignorierte ich und fuhr los. Sollte es wirklich einen Laden geben, in dem man gegen Barzahlung einen TT erwerben und auch gleich mitnehmen konnte, dazu noch nach 18.00 Uhr? Dann hätte sich der Anschluß des Ostens wahrlich gelohnt.

Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt. Unter Mißachtung aller Vorschriften der Straßenverkehrsordnung fuhr ich also nach Friedrichshain, keine Skinheads hielten mich auf - es waren keine zu sehen - und fand, wie es sich gehört, vor dem Laden in der Proskauer Str. einen Parkplatz.

Das Gerät stand schon fertig verpackt bereit; selbstverständlich sei alles überprüft und so, wie ich es am Telefon gesagt hatte.

Da die Leute an der Kasse gerade zu tun hatten, nutzte ich die Gelegenheit, mich mit einem der Verkäufer zu unterhalten. Falcon? Leider erst morgen wieder, man habe heute nur fünf Stück erhalten und die seien schon ausverkauft, selbst das Beratungsmuster habe ein Kunde mitgenommen, aber man erwarte morgen eine neue Lieferung.

War es selbstverständlicher Kundendienst, daß er mir den Karton zum Wagen trug, oder wirkte ich nach der Nachricht, daß man Falcons auch kaufen könne, so niedergeschlagen, daß er meinte, mir helfen zu müssen, wie man einer Oma die Einkaufstasche trägt?

Nachdenklich und etwas langsamer - es waren keine Skinheads zu sehen - fuhr ich zum Nabel der Welt - West-Berlin - zurück. Was zum Teufel machen eigentlich diese Datenspieler1 mit dem Schlichten 2 Gemüt in ihren wundersamen Atari-Desktop-Publishing-System-Centralen?

Fußnoten:

1 - "Dataplay" war ein Atari-Laden in Berlin (Bundesallee), inzwischen aufgelöst. Das Personal dort glänzte v.a. durch Abwesenheit, Lustlosigkeit und Inkompetenz.

2 - "Schlichting" war ein anderer Atari-Fachhändler in Berlin (Katzbachstraße). Auch dort wurde man entweder gar nicht oder reichlich herablassend bedient. Auch dort war der Leitspruch offenbar: "Vorsicht - Kunde droht mit Auftrag!"

(Anm. des Editors)


Aus der © CHAT NOIR Mailbox: www.chatnoir.de und online unter diesen Rufnummern
Erste Veröffentlichung: 24.2.1993 von Wolfgang
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