Das Endspiel

Gestern abend, 20 Uhr.

Vier Jünglinge und eine Dame kehren in einer schönen Spandauer Behausung ein um das Spiel der Spiele vor dem dort aufgestellten Fernsehempfangsapparat zu verfolgen.

Dabei sollten sich sogleich drei Gruppen bilden: Amira und Brutus - natürlich - für Deutschland, Anvil für die Besseren und zwei andere Herren, die möglicherwiese hier demnächst anzutreffen sein werden, für die Tschechen. Natürlich hat das Sofa (so nennen wir mal Amira, Brutus und Anvil, der sich nun auch für die germanische Sache begeisterte) die Sessel (so nennen wir die beiden anderen) locker übertönt. Vor allem wurde die Frage aufgeworfen, wie die Tschechen jemals in die EU kommen wollen, wenn sie das Spiel gewinnen. Brutus drohte eine Kürzung der Entwicklungshilfe an und stellte fest, daß wir auch in einem Fall des Anschlusses an die Bundesrepublik mit steigenden Krankenkassenbeiträgen zu rechnen hätten, da die Tschechen ständig faul und pseudo-verletzt auf dem Rasen lagen.

Trotz der vielen Fouls an unseren Jungs, die der parteiische Schiedsrichter natürlich nicht ahnden wollte, hielten sie sich recht wacker. Die Tschechen wagten sogar ein 1:0, vermutlich, weil Brutus keine freie Telefonleitung zum Stadion bekam um dem Trainer die Auswirkungen eines tschechischen Sieges mitzuteilen.

Kurz darauf - Anschlußtreffer für Deutschland - wirkten die Gegner aber reichlich deprimiert und traurig, und auch die Sessel (vor allem der Rechtsaußen) erhöhte die Zahl der Trinksprüche auf drei pro Minute, woraufhin er immer einen satten Schluck aus seinem extra beigebrachten Horn nahm um schließlich satt rülpsend wieder in den Tiefen der Polster zu verschwinden. Derweil ließ das Sofa frenetischen Lärm los, was den Gastgeber - Anvil - bewog, den Fernseher an die Hifi-Anlage anzuschließen. Natürlich kamen auch 2 x 250 Watt Sinus nicht gegen das Sofa an, und als beim Aufdrehen des Verstärkers schließlich das Licht zu flackern begann, gab er klein bei uns auch das Sofa beruhigte sich wieder leicht - denn nun gibg es in die Verlängerung.

Das Sofa indes begann beide Sessel mit "Mr. Tom" - Packungen zu bombardieren und orderte neues Jever, etwa das 20. an diesem Abend. Brutus stellte fest, daß die Tschechen auch bei einer Niederlage niemals in die EU gelangten und untermauerte diese These mit Argumenten wie "Die ham ja nich ma richtiches Jeld, die mit ihren Monopoly-Scheinen und den Alumünzen und Bier könnse auch nich machn". Ein Blick in die VIP-Lounge verschaffte sofort Klarheit über den Umstand, daß auch Helmut Kohl sich Brutus' Meinung anschloß und mit dem Premier des Gegners ein paar ernste Worte redete.

Anschließend waren die Tschechen recht deprimiert und traurig. Sie wurden vom letzten deutschen Aufgebot überrannt und versuchten abermals, das Blatt durch einige Fouls noch zu wenden. Die Sessel indes drehten sich um, weil sie das Elend nicht mehr sehen konnten und wurden vom Sofa mit allerlei Schimpfworten bedacht. die von "Mach' Deinen Prager Schinken nicht so breit" bis "Slawische Trottel" reichten, wobei in der Kürze der Zeit jedoch nicht geklärt werden konnte, ob Tschechen Slawen sind und auch bei Carlos, der das sicher hätte aufklären konnte, nahm begreiflicherweise niemand den Hörer ab.

Schließlich das Golden Goal - wie nett, daß man den Tschechen vorher noch ein wenig Gelegenheit gab, mit dem Ball ein bißchen zu fummeln. Die Sessel hatten sich vorläufig aus dem Leben abgemeldet und versuchten nun, heuchlerisch wie immer, sich mit "naja, eigentlich war ich ja nur aus Spaß gegen die Deutschen" beim Sofa einzuschleimen. Brutus kündigte daraufhin mit sofortiger Wirkung alle freundschftlichen Beziehungen zum Sessel, verschob diese Maßnahme aber auf die Zeit nach dem nächsten Jever und die gemeinsame Heimfahrt aus Spandau. Daraufhin erlaubte er den Sesseln, zusammen mit dem Sofa auf dem Balkon das Deutschlandlied, die Internationale, die DDR-Nationalhymne und andere Lieder aus seinem Repertoire zu intonieren, woraufhin sich eine herzliche Verbrüderungsszene anschloß, in der die Sessel gelobten, beim nächsten Mal von Anfang an für die Sieger zu sein.


Aus der © CHAT NOIR Mailbox: www.chatnoir.de und online unter diesen Rufnummern
Erste Veröffentlichung: 12.7.1996 von Brutus
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