Hundegeburtstag in Tegel-Süd

Als ich klein war, waren Deutsche Schäferhunde meine Lieblingstiere. Damals wußte ich noch nichts von ihrem Nazi-Image. Als ich später davon erfuhr, lag meine unerfüllt gebliebene kindliche Sehnsucht nach einem eigenen Tier längst unter einem Berg von Egoismus verschüttet. Ich lebte damals nicht nur in einem Wolkenkuckucksheim, sondern auch der Mode folgend in einer WG, und der hier ebenfalls ansässige Mischlingshund, ein notorischer Kläffer, Beißer und Streuner namens Bingo, ging mir und meinem besten Freund, meinem Ego, ausgiebig auf die Nerven. (Von Nazi- Schäferhunden ganz zu schweigen!)

Lange Jahre später - ich lebte inzwischen allein - lernte ich eine junge, hübsche Frau kennen, die mehr tier- als menschenlieb war. Um ihr zu imponieren, gab ich mich ebenfalls tierlieb. (In Wahrheit waren mir Tiere ziemlich egal.) Dabei hätte ich stutzig werden sollen, als sie mit sechs Vögeln bei mir einzog, die binnen kurzem meine stolze Junggesellenwohnung vollschissen. Stattdessen spielte ich, dumm, wie nur ein Mann sein kann, den Großzügigen. Zur Strafe mußte ich heiraten und saß nun endgültig in der Falle. Als bei meiner Frau nicht etwa der Kinder-, sondern der Hundewunsch aufkam, konnte ich ja schlecht mit der Wahrheit herausrücken. Außerdem schien mir ein Hund im Vergleich zu einem Kind immer noch das kleinere Übel.

So begann ich gezwungenermaßen, mich für Hunde zu interessieren. Zunächst einmal las ich eine ganze Reihe von Büchern, um auf das kommende Grauen wenigstens seelisch und in der Theorie vorbereitet zu sein.

Das Grauen kam dann in Gestalt der achtwöchigen Laika zu uns. Der kleine Hosenscheißer konnte auch das härteste Herz zum Schmelzen bringen. Daß aus ihr einmal eine ausgewachsene Schäferhündin werden würde, konnten wir uns nicht vorstellen. Schäferhundwelpen sind nämlich Mogelpackungen; sie sehen überhaupt nicht wie Nazi- Hunde aus, sondern täuschen arglistig vor, immer klein, niedlich, wollig und schlappohrig zu bleiben.

Außerdem hatte Laika offenbar ganz andere Bücher gelesen als ich. Sie dachte gar nicht daran, nach zwei Wochen stubenrein zu werden, und setzte uns sogar noch nach einem Jahr eine ausgewachsene Wurst auf den Teppich. Es war leider nicht die einzige. Die gute Auslegeware liegt heute in einer rumänischen Sondermülldeponie. Überhaupt war es mit der Hygiene vorbei. Hunde sind nämlich furchtbare Nervensägen. Sie bringen kübelweise Schmutz ins Haus, sind dauernd läufig, werfen Getränke um und kotzen in die Wohnung. Außerdem muß man ständig mit ihnen spazierengehen oder zum Tierarzt.

Laikas Unarten waren allerdings ein Nichts im Verhältnis zu denen ihrer Schwester Ronja, die wir ein halbes Jahr später aufnahmen. (meine Idee war das nicht!) Ronja hatte noch weniger Bücher gelesen als Laika und war aufgrund ihrer Biographie (sechs Vorbesitzer im Alter von sieben Monaten) nicht nur völlig unerzogen, sondern auch hochgradig neurotisch. Mit ihr wurden die einst nur lästigen Spaziergänge zum Himmelfahrtskommando, denn Ronja haßt alle anderen Hunde.

Heute haben Laika und Ronja Geburtstag. Sie werden sechs Jahre alt. Irgendwie haben sie es im Laufe dieser Zeit geschafft, mich um den Finger zu wickeln. Ich bin Tieren gegenüber nicht mehr so hartherzig und gleichgültig wie früher. Es hat sich sogar so etwas wie Hochachtung herausgebildet. Zum Beispiel staune ich immer wieder darüber, wieviel diese Tiere verstehen. Sicherlich nicht "jedes Wort", wie es der Kitsch verlangt, aber doch wesentlich mehr, als ich für möglich gehalten hätte. Jedenfalls beschränkt sich ihr sprachliches Vermögen ganz bestimmt nicht auf einige wenige Begriffe, die mit dem Fressen oder Spazierengehen zusammenhängen.

Ein Großteil ihres "Verstehens" spielt sich dabei auf der gefühlsmäßigen Ebene ab, wie Hunde überhaupt Meister der nonverbalen Kommunikation sind. Nicht nur, daß sie empfindsam auf jede Stimmung reagieren, können sie sich auch durch eine Art hochentwickelter "Gebärdensprache" verständlich machen. Aufgrund dieser Erfahrungen halte ich es heute für ausgemachten Blödsinn, wenn behauptet wird, Tiere könnten nicht "sprechen", nicht "denken" oder hätten keine "Seele". Unsere Hunde verstehen jedenfalls mehr von meiner Sprache als ich von ihrer.

Außerdem hat jede der beiden Hündinnen einen ganz individuellen Charakter. In meiner Zeit als Hundehasser hielt ich solche Behauptungen für bourgeoisen Kitsch; nun bin ich eines Besseren belehrt.

Nehmen wir zum Beispiel Laika. Laika ist eine richtige kleine Püppi, ein kleines Mädchen, das sein schönes neues Röckchen nicht schmutzig machen möchte und jeder Pfütze aus dem Weg geht. Überhaupt liegt Laika am liebsten zu Hause auf dem Sofa und würde, wäre sie nicht ein so wohlerzogenes kleines Mädchen, im Grunde mißbilligen, daß ich so oft mit ihr spazierengehe. Sie ist herzensgut, zutraulich und verträgt sich mit allen Menschen und Tieren. Wie alle kleinen Mädchen nascht sie gern. Aus unerklärlichen Gründen liebt (!) sie Katzen über alles. Eigentlich ist sie selber eine richtige kleine Miezekatze. Außerdem ist sie furchtbar veträumt und vergißt die Welt über jedem Blümchen, an dem sie schnuppert. Was ein "Deutscher Schäferhund" ist, ahnt sie nicht einmal. Wahrscheinlich schreibt sie heimlich Verse in ein rosafarbenes Poesiealbum mit Herzchen.

Ronja hingegen ist ein richtiger Haudegen. Sie läßt keine Pfütze aus und prescht mit unermüdlicher Hingabe durchs Gestrüpp. Menschen begegnet sie abwartend bis mißtrauisch, anderen Tieren geradezu feindselig. Keiner kann so wundervoll mißbilligend dreinschauen wie meine Ronja (höchstens noch meine Frau!). Hunde wie sie haben über Generationen verbissen (im wahrsten Sinne des Wortes!) am schlechten Image des Deutschen Schäferhunds gearbeitet. Ihr Fahndungsfoto hängt in jedem Büro der "taz" aus. Am liebsten jagt sie Katzen und kleinere Hunde (Welpen gräßlicherweise eingeschlossen!). Ein Spaziergang mit ihr ist eine Qual; stets und ständig ist man auf der Flucht vor anderen Hunden und deren arglosen Besitzern ("Die Tiere wollen doch nur spielen!").

Ronja besitzt ein geradezu unheimliches Timing für den falschen Moment. Sie springt grundsätzlich dann an mir hoch, wenn ich ein volles Glas in der Hand halte; sie kackt gerade dann vor die Tür des Nachbarn, wenn ich die Tüte vergessen habe; sie räumt gerade dann den Tisch ab, wenn meine wertvollsten Basteleien darauf stehen. Zu allem Überfluß hat dieser Unglückswurm einen Narren ausgerechnet an mir, dem Hundehasser, gefressen. Mit ihrem verliebten, seelenvollen Blick hat sie mich schließlich geschafft.

So kommt es, daß ich heute leidenschaftlich die Sendungen "Tiere suchen ein Zuhause" und "Rudis Hundeshow" ansehe, mich für Wölfe interessiere, Mitglied im Tierschutzverein bin und mir heimlich eine ganze Wohnung voller riesengroßer Hunde wünsche. Es ist fast wieder wie damals, als ich ein kleiner Junge war und von einem eigenen Schäferhund träumte.

Liebe Laika, liebe Ronja - ich wünsche euch ein langes, gesundes und glückliches Leben! Heute gibt's für euch Hundekuchen bis zum Abwinken!


Aus der © CHAT NOIR Mailbox: www.chatnoir.de und online unter diesen Rufnummern
Erste Veröffentlichung: 27.4.1995 von Holger
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