Ikea - Kaufrausch in Blond

Niemand leidet unter der bösen, bösen Welt mehr als unsere neurotischen LehrerInnen - einer Welt, in der es nicht genug "Projekte", Besoldungsgruppen und Ferien gibt!

In ihrer Verzweiflung lassen sie sich krankschreiben, beurlauben oder gehen gleich zu Ikea. Dort finden sie Trost, indem sie unförmige Einkaufswagen mit Dingen beladen, die im Gegensatz zu ihren Zöglingen noch die Illusion des Naturbelassenen (Attribut: "unbehandelt") vermitteln. Hier findet der pädagogische Wille zum Formen und Gestalten endlich Erfüllung, denn bei Ikea wird der Ramsch, den man bei "Rudis Resterampe" oder auf dem Sperrmüll fertig bekommt, als teurer Bausatz angeboten, und wer sich für besonders "kreativ" hält, freut sich darauf, die Teile mit Fingerfarben zu bemalen. Daß nichts zusammenpaßt, merkt man ja glücklicherweise erst zu Hause!

Ganze Therapiegruppen legen hier ihre Leidensmiene ab und wälzen sich mit dümmlichem Lächeln durch ein Ambiente, in dem alles aufreizend vernünftig ist: Die Gänge sind breit genug, die Möbel penetrant praktisch, die Kataloge in ausreichender Zahl vorhanden, die Toiletten aufdringlich sauber und selbst die langweiligsten Ordnungsmittel schick gestaltet. Selbst dem Umstand, daß mit der neurotischen Kundschaft niemand etwas zu tun haben will und sie deshalb notorisch "alleinerziehend" ist, wird von Ikea Rechnung getragen, und so findet man gleich neben dem Parkplatz für die Autos einen Bereich, in dem das Kind geparkt werden kann.

Durch die Lautsprecher klingen einschmeichelnde Melodien, die an die guten alten Tage von 1968 gemahnen und die Kunden vergessen lassen, daß sie inzwischen zu den geschmähten "Besserverdienenden" gehören. Das Schönste aber ist: Als Ikea- Kunde darf man sich in der Gewißheit wiegen, kein "Spießer" zu sein, denn Ikea wirbt schließlich damit, ein "verrücktes Möbelhaus" zu sein. Daß sich das Attribut "verrückt" auf die Kundschaft bezieht, ahnt diese nicht einmal im Traum!

Durch die Gänge huschen rotgekleidete, penetrant lächelnde Menschen, die mit derselben Inbrunst wie früher an Bhaghwan heute an "Möbelfakta" glauben. Umweltfreunde, die sich eben noch rechthaberisch um einen Parkplatz für ihre stinkenden Kleinlaster gestritten haben, bekommen in dieser Oase einen friedlich verklärten Blick. Alles ist hier so wunderbar schwedisch und noch viel nordischer, als der Führer je zu träumen wagte, und überhaupt ist Ikea das einzig verbliebene ausländerfreie Einkaufpsparadies. Welch ein Dorado für multikulturell denkende Menschen!

Man kann sein Weltbürgertum sinnlich zum Ausdruck bringen, indem man am Ausgang original schwedische Fanartikel wie Bücher von Astrid Lindgren, Wasser von Ramlösa und Knäckebrot von Wasa ersteht, die man sonst nirgends in Berlin bekommt.

Alles bei Ikea wirkt so sauber wie die blitzblanken Zähne eines blondbezopften Schwedenmädels aus dem TUI- Prospekt - und ebenso asexuell. Wer würde beim Anblick der "Möbelfakta"- Maschine, die dem staunenden Publikum die sensationelle Haltbarkeit von Ikea- Matratzen demonstriert, an etwas anderes als an einen unschuldigen Elchtest denken?

Trotz der Sterilität wirkt Ikea irgendwie "persönlich". Das liegt daran, daß jedes Produkt einen Namen hat. So fühlt man sich auf den ersten Blick beinahe ebenso "angenommen" wie in seiner kuscheligen Therapiegruppe, deren Möblierung ja ebenfalls von Ikea stammt.

Hier gibt es nicht diese entsetzliche Anonymität wie bei "Anderle" und "Möbel- Hübner", wo man sich, dumm wie man war, früher einmal herumgetrieben hat. Hier ist das Paradies für Verrückte, die ihre Möbel mit Vornamen anreden, denn hier heißt der Tisch "Lars", der Dübel "Ole", die Lampe "Stine", der Designer "Ove Pettersson", und alle gehören sie zur großen, praktischen Familie Bullerbü, in der die Welt noch in Ordnung ist und in die man sich ganz leicht einkaufen kann, selbst wenn man selbst nur "Edeltraut" heißt. Wer bei Ikea kauft, legt ein Bekenntnis ab - ein Bekenntnis zu ein bißchen Frieden, ein bißchen Umwelt und ein bißchen Sozialismus wie in Schweden.

Überhaupt ist Schweden für Ikea- Fans das Paradies: Ein Land, in dem sich blonde Menschen ihre Wohnung einträchtig mit ihren blonden Möbeln teilen! Ein Land, in dem alle auf Anhieb geduzt werden - selbst die Garderobenhaken! Und wer nicht ständig nach Schweden reist oder am besten gleich dort hinzieht, geht stattdessen eben zu Ikea.

Weil diese armen Menschen ihr ganzes Geld bei Ikea lassen und das Gelobte Land deshalb nie kennenlernen werden, ahnen sie nicht einmal, daß Schweden ein todlangweiliges Land ist, in dem es gar keinen Sozialismus gibt - ein Land, in dem sich die Menschen nach neudeutschen Autos und altdeutschen Schrankwänden sehnen und aus Verzweiflung über ihre viele Umwelt zur Flasche greifen!


Aus der © CHAT NOIR Mailbox: www.chatnoir.de und online unter diesen Rufnummern
Erste Veröffentlichung: 21.5.1998 von Holger
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