Invasion der Micky-Maus

Früher war alles viel schöner - da sah man sie höchstens mal in einem Heftchen oder Büchlein, wo sie ihre auf der Leinwand begonnene Karriere fortsetzte. Und heute? Ob Kaffeetasse, Klobrille oder Diskettenbox, ob Lampe oder Stereo-Anlage, ob Marmelade oder die geliebte Pasta: Sie sitzt überall. Sie grinst überall! Und sie hat auch noch ihre dämlichen Freunde mitgebracht! Ich rede von der

Invasion der Micky-Maus.

Sicherlich hätte es damals Herrn Disneys Vorstellungskraft überstiegen, was sein ehemals harmloses Geschöpf an Geld einfahren kann und wie allumfassend seine Macht über Kinderherzen sein kann. Es beginnt schon beim Frühstück. Nach der Frühausgabe der "Duck Tales" im TV ein Brot mit Micky- Nuss-Nugat-Creme auf dem Micky-Holzbrett mit Kakao aus der Micky-Tasse. Auf in die Schule mit der Micky-Schulmappe, in der die Schreibhefte mit Micky und seiner unsäglichen Minnie klappern, unnötig zu sagen, was auf der Federtasche, den Stiften, dem Brotpapier sitzt? Natürlich: Micky. Worum geht es im Unterricht? "Comics" heißt das Thema, die Klasse sieht sich den ersten Micky-Film "Steamboat Willy" an. Auf nach hause, es beginnt der Micky-Nachmittag mit einer mehrstündigen Fernsehsendung "Micky Maus und seine Freunde", und bis sich der kleine Comic-Junkie die Zähne mit Micky-Zahnbüste/pasta/becher putzt und sich dabei im Micky-Spiegel betrachtet, schließlich im Bett liegt und noch eine Gute Nacht-Geschichte mit dem Titel "Micky Maus macht ein Picknick" hört, wozu dunkel die Micky-Funzel leuchtet und trübes Licht verbreitet, während dieser ganzen Zeit vergeht keine Minute, in der nicht mindestens drei- bis viermal diese unsägliche Figur irgendwo auftaucht - sie findet immer einen Platz, und wenn es auf den Nudeln zum Abendessen oder auf dem Badelaken nach dem Duschen ist - zuvor sah man sie natürlich noch auf dem Duschvorhang.

Was passiert nun, wenn diese von Biedermann-Micky-Maus geprägte Generation älter wird? Wird auch diese Generation wie unsere, die davor und die davor etc. zu "Bravo" greifen, um die schwierigen Pubertäts-Probleme zu lösen? Ist diese Generation nicht vielmehr zu ewiger Unkenntnis in sexueller Hinsicht verurteilt? Frage an die "Micky Maus" von Nadja, 13: "Letztens kam mein Vater betrunken in mein Zimmer und fing an, mich zu begrapschen. Seitdem habe ich Alpträume und habe Angst, er könne wiederkommen!" Antwort von Micky-Maus: "Ich werde sofort Kommissar Hunter Bescheid sagen, dann schlägt er mit meiner Hilfe zu und wirft den Strolch in den Knast!" Hat schonmal jemand Micky und Minnie knutschen sehen? Ewig werden sich die Micky-Süchtigen mit Händchenhalten begnügen und ihre Freundin bestenfalls zum Essen einladen, von einer Verführung im heimischen Schlafgemach kann selbstverständlich keine Rede sein. Das hat allerdings einen Vorteil: Die natürliche Auslese führt dazu, daß die Micky-Generation wie von allein ausstirbt, denn sie wird ewig denken, der Unterschied zwischen Mann und Frau erschöpfe sich darin, daß die Frau eine Schleife auf dem Kopf hat und den ganzen Tag tratscht, während der Mann dem Kriminalkommisar bei der Lösung einiger kniffliger Fälle mal eben hilft um hinterher mit seinem verblödeten Kumpel zum Angeln zu fahren. Da es offenbar in ganz Entenhausen auch keine Kinder, sondern immer nur Neffen gibt, wird sich keinem Micky- Fan jemals die Frage nach Fortpflanzung stellen. Davon abgesehen altern Disneys Figuren nicht, zum Glück ganz im Gegensatz zu ihren menschlichen Anhängern, die daher früher oder später verschwunden sind und ihre ekligen Comics hoffentlich mit in's Grab nehmen.

Doch bis dann ist es noch ein weiter Weg. Bis dahin wird man sich damit abfinden müssen, daß Mister Tagesschau in 10-15 Jahren im Micky-Kostüm dasitzen und die neusten Nachrichten aus Disneyworld verkünden wird: "Kater Karlo hat Cinderella entführt". Zum Glück wissen alle, wie ein echter Verbrecher aussehen muß, das haben sie in unzähligen Comics gelernt: Unrasiert, am besten mit Holzbein, in jedem Fall aber extrem dick oder extrem dünn und vor allem immer laut "Har Har!" brüllend. Nächste Meldung: "Klarabella heiratet Michael Jackson". Wenn man es noch nicht geahnt hat, bekommt man es bestätigt: Michael Jackson sieht nicht nur wie eine Comic-Figur aus, deren Zeichner die Farbe nicht mehr bezahlen kann, er ist eine und kommt nun über den Umweg der dämlichen Kuh und Minnie-Freundin endlich in den reichen Maus-Clan herein. Vergleiche mit Arnold Schwarzeneggers Einheirat bei den Kennedys drängen sich förmlich auf. Als nächstes in den Nachrichten: Überblendung zur Wahl der "Miss Minnie": Die ehemals so beliebten Bunny-Kostüme gibt es allenfalls noch auf Parties im Altenheim, nunmehr werden neue Ansprüche an die Misses gestellt: Große schwarze Ohren, eine Schleife auf dem Kopf und einen Schwanz am Hinterteil. Natürlich müssen sie auch weiß sein, mindestens so weiß wie Michael Jackson bei seiner Hochzeit. Ach ja - Jungfräulichkeit ist auch noch Pflicht, aber über solche Selbstverständlichkeiten spricht schon niemand mehr. Plötzlich - ein Zwischenfall! Die Panzerknacker entführen die frisch gekührte Miss! Zum Glück kann der Reporter die aufgewühlten Massen beruhigen, denn sofort macht sich Micky Maus auf den Weg, die gekidnappte Schöne zu befreien und die Welt wieder in's Lot zu bringen. Zum Abschluß der Wetterbericht: In Disneyword wie immer schönes Wetter, es sei denn, der böse Wolf klaut den kleinen Schweinchen die Sonne.

Nach den Nachrichten die Wirtschaftssendung: Disney kauft Daimler Benz und die Deutsche Bank, der Steuersatz für Disney-Artikel wird halbiert und der Firma die Gemeinnützigkeit zuerkannt - wen wundert's, denn schon vor einer Woche sah man das Bundeskabinett im neuen Plenarsaal in Disneyworld in Micky-Kostümen sprechen. Die unverbesserliche Opposition wurde von Kommisar Hunter abgeführt und bei Dagobert Duck einquartiert, wo sie Ein-Kreuzer-Münzen polieren muß.

Da fragt man sich: Sind wir noch zu retten? Die eindeutige Antwort ist: Nein! Wir tun also gut daran, uns bereits einen Micky-Maus artigen Lebensstil anzueignen. Insbesondere ist der Genuß von Tabak und Alkohol sofort einzustellen (hat man Micky etwa einmal mit der Bierpulle oder gar einem Glimmstengel gesehen?), die Frauen könnten sich auf einer Schönheitsfarm einen Schwanz anbringen lassen und sollten sich schonmal eine Schleife aussuchen.

Und dann können wir die schöne, neue Zeit willkommen heißen, die Zeit der Biedermeier nach amerikanischem Vorbild, die Zeit der Weltherrschaft der Micky Maus und ihrer total verblödeten Freunde.


Aus der © CHAT NOIR Mailbox: www.chatnoir.de und online unter diesen Rufnummern
Erste Veröffentlichung: 3.5.1993 von Brutus
[Kommentar zu diesem Text in Forum "Literarisches Café" schreiben]
[Forum "Literarisches Café" lesen]
 
[Forum junger Autoren] [Home]