Mein geliebtes Bügeleisen

"Raumpatrouille Orion" scheint auf heutige Zuschauer vornehmlich belustigend zu wirken - etwa mit dem gleichen Stellenwert versehen wie das HB- Männchen. Fragt man heutzutage jemanden, was er mit der Sendung "Raumpatrouille Orion" verbinde, wird die Antwort todsicher lauten: "Das Bügeleisen, das Bügeleisen!" Die Entdeckung dieses Details deutet nicht allein darauf hin, daß man diese Serie heute belächelt; vor allem beweist sie, daß der heutige Zuschauer erfahren und somit entspannt genug ist, beim Betrachten der Handlung solche Ausstattungsdetails wie "das Bügeleisen, das Bügeleisen" überhaupt zu entdecken.

Wie aber empfand man "Raumpatrouille Orion" als Zeitzeuge? Wie wirkte sie bei der Erstausstrahlung 1966, als die "Kuba- Krise" noch lebendig und der von Chrustschow provozierte Wettlauf zum Mond noch nicht entschieden war? Wie wirkte sie auf ein Kind?

Allein schon der Name der Hauptfigur, "Cliff Allister MacLane", zerging mir auf der Zunge wie meine (auf der Leidenschaft für Taxifahrten beruhende) Lieblingstriade, "Mercedes Daimler Benz". Genüßlich sagte ich ihn vor mich hin wie ein Mantra, wohl empfindend, daß es sich um mehr handelte als um einen x- beliebigen Namen; nein, dieser Name war die kodifizierte Selbstdarstellung einer durch und durch zukunftsgläubigen Epoche!

"Cliff" - das war kurz, sportiv und fordernd; es stand für unerschrockene Männlichkeit, für jugendliche Abenteuerlust und übermütiges Draufgängertum: ein gleichsam munterer Name mit nur einer Silbe wie einst "Quax" - und mit meinen Phantasievorstellungen einer amerikanischen Allmacht beladen. Welcher Junge wollte damals nicht "Cliff" heißen?

Dagegen das rätselhafte "Allister", etwas versponnen und veträumt klingend, auf Sinnhaftigkeit und Romantik verweisend und dennoch von ferne lautmalerisch an den seinerzeit hochaktuellen Satelliten "Telstar" erinnernd.

Schließlich "MacLane" - für mich, der ich damals von Schottland nichts wußte, die Abrundung eines ganz und gar amerikanischen Heldennamens. Alle Helden kamen damals aus Amerika, und es war beruhigend, daß sie es auch noch im Jahrhundert der "Orion" sein würden!

Ich kann den Namen "Cliff Allister MacLane" natürlich nicht erwähnen, ohne einen anderen zu nennen, der das Blut in den Adern gefrieren läßt: "Tamara Jagellowsk"! Ohne sie wäre der Mythos "MacLane" nicht möglich gewesen.

Oh, wie ich sie mit meinem kindlichen Herzen von der ersten Folge an inbrünstig haßte - als hätte sie höchstpersönlich die Berliner Mauer errichtet! Sibirisch kalt, repräsentierte sie die Welt der Erwachsenen, die den jugendlichen Trotzkopf Cliff disziplinieren wollte. Der Eltern- Kind- Konflikt, der sich in der Studentenrevolte von 1968 entladen sollte - hier war er bereits vorweggenommen! (War der "Exoterrist" der Raumpatrouille gar der Terrorist der siebziger Jahre?)

Doch was wußte ich von Soziologie? Ich fand es schlicht empörend, daß sich erstens eine Frau und zweitens eine Russin gegen jemanden zu stellen wagte, der "Cliff Allister MacLane" nicht nur hieß, sondern war! Im Unterschied zu heute habe ich sie bei der Erstausstrahlung weder als "hübsch" empfunden noch bezeichnet. Das tat ich bei einem Eiswürfel ja auch nicht. O selige Zeit der Unschuld, als ich noch für weibliche Reize unempfänglich und ein unbestechlicher Verfechter des Guten, Schönen und Wahren war!

Ich, dessen Fernseh- Erfahrung mit seinen 8 Jahren kaum über das Sandmännchen hinausging, hätte mir nie und nimmer träumen lassen, daß sich Cliff und Tamara eines Tages küssen würden! Als dies geschah, so gehörte das zu den großen, unvergeßlichen Überraschungen meines jungen Lebens. Und welcher Triumph: Cliff hatte auch an der heimtückischsten aller Fronten gesiegt!

Eine besondere Stärke der Sendereihe "Raumpatrouille" war ihre atmosphärische Dichte. Ich habe mich damals bis ins Mark gefürchtet, ja entsetzt. (Rührt von hier meine heutige Zukunftsangst?) Gerade das namenlos Bedrohliche, das latent neben der kühlen Faszination der chromglänzenden Technik stand, machte den Reiz der sieben Folgen aus. Die Aura des Gefährlichen überschattete selbst die harmlosesten Szenen; sie war allgegenwärtig, jederzeit spürbar.

In dieser spannungsgeladenen Atmosphäre war nicht im entferntesten daran zu denken, irgendwo ein ordinäres "Bügeleisen" auszumachen! Ich war vor Angst geradezu statisch aufgeladen, befand mich in einem Schockzustand. Nach keiner Folge konnte ich ruhig einschlafen und mußte mir eine Woche später die nächste herzerweichend erbetteln. Nie wieder in meinem Leben hat irgendeine Film- oder Fernsehproduktion bei mir auch nur annähernd einen derart nachhaltigen Eindruck hinterlassen wie die "Raumpatrouille"!

Das Besondere war, daß diese bis ins Mark reichende Furcht nicht allein durch klickende Schritte auf spiegelnden Gängen ausgelöst wurde, nicht allein durch die unheimlichen "Frogs"; furchterregend war auch die beklemmende Allgegenwart des "GSD" und seines stets gefährlich lächelnden, sibyllinischen Obersten Villa. Im "Galaktischen Sicherheitsdienst" schienen Stasi und Gestapo zu einer assoziativ- bedrohlichen Melange verschmolzen zu sein, die - ohne daß das jemals so ausgesprochen wurde - alles und jeden kontrollierte, die sogenannte "Weltregierung" eingeschlossen.

Die ultimative Kulmination meines Entsetzens fand in Folge 6 ("Die Raumfalle") statt: Cliff Allister MacLane sollte in einer grausamen Folterzeremonie zu Tode gequält werden, in deren Verlauf sich zwei Kugeln mit glühenden Spitzen langsam auf seinen Kopf zubewegten. In meiner Erinnerung schrieb ich sie später den "Frogs" zu; doch war sie überaus irdisch.

Die leitmotivische Bedrohlichkeit der Sendereihe fand allenfalls kurze Entspannungsmomente im "Starlight- Casino", wo im wahrsten Sinne des Wortes zu einer "Zukunftsmusik" getanzt wurde.

"Cliff Allister MacLane", das war der John F. Kennedy des Weltraums; das war die phonetische Entsprechung zu einem Raumschiff, das mir in meiner unbekümmerten Fortschrittsgläubigkeit "ultramodern" schien (ein Lieblingswort jenes Sechziger- Jahre- Zeitgeistes aus Chrom und Plastik). In der "Orion" verschmolz der Mythos von der "fliegenden Untertasse" mit dem vom amerikanischen "Straßenkreuzer". Neben der zeittypischen Heckflosse wies sie ein weiteres wichtiges Accessoir auf: das Blinklicht! Somit gemahnte sie an eine weitere Ikone des Guten, Schönen und Wahren: die Polizei!

Heutzutage, im Zeitalter des "Merchandising", hätte es auf dem Spielwarensektor wahrscheinlich Hunderte von "Orion"- Nachbildungen bis hin zur "Orion- Barbie" gegeben. Damals war an so etwas nicht zu denken. Meine "Orion"- Raumschiffe entstanden unbeholfen aus Legosteinen, ohne die Eleganz des Vorbilds jemals auch nur annähernd zu erreichen. Und dennoch verdanke ich ihnen herrliche, selbstvergessene Spiele im "Weltall" unserer Wohnung!

Was war eigentlich das Unvergeßliche, das Besondere an der "Raumpatrouille"?

Aus der heutigen Perspektive würde ich antworten: Daß sie ein "Gesamtkunstwerk" war! Angefangen beim fulminanten Einsatz der Hammond- Orgel in der Titelmelodie über die atmosphärische Dichte und den Kontrast MacLane - Jagellowsk bis hin zu den liebevollen Details (Musik und Tanz im Starlight- Casino) herrscht Stimmigkeit von der ersten bis zur letzten Sekunde. Die Musikuntermalung ist schlicht grandios; die CD zur Serie ist absolut hörenswert. Man spürt förmlich das Vergnügen der Musiker am Experimentieren. Was ich überdies sehr schätze, ist die Bündigkeit der Folgen. Sie beziehen sich aufeinander; die Hauptfiguren bleiben nicht statisch, sondern entwickeln sich (Zuneigung MacLane - Jagellowsk).

Auch der technische Fortschritt bleibt - typisch für die Sechziger! - nicht stehen: Erst im Verlauf der drei Jahre, die MacLane strafversetzt ist, wird die furchtbare Waffe "Overkill" entwickelt. In derselben Zeitspanne veralten Raumschifftechnologien hoffnungslos: Der seit drei Jahren auf Mura verbannte Spezialist vermag die gekaperte "Orion" nicht mehr zu handhaben.

Aus Sicht der damaligen Zeit gab es in der "Raumpatrouille" schier unglaubliche Szenarien, in deren Ungeheuerlichkeit sich ein heutiger Zuschauer gar nicht mehr hineinversetzen kann. Wer wußte damals schon etwas von Computern? Wer vermochte sich vorzustellen, daß Roboter nicht nur existieren, sondern sogar rebellieren könnten? Die verblüffendste Groteske aber lieferte die Landung der Orion auf Chroma (wo eine überaus kühl agierende Margot Trooger residierte, die ich doch als ausgesprochen warmherzige Partnerin von "Teddy und Püppi" aus dem "Sandmännchen" kannte. Ewiges Rätsel Weib!): Mit Worten ist gar nicht zu beschreiben, wie grenzenlos absurd die Vorstellung war, daß Frauen regieren könnten! Wer hätte damals gedacht, daß dies keine dreißig Jahre später traurige Realität sein würde...

Als Lieblingselemente der Serie würde ich hervorheben:

- den metallischen Countdown; - die Titelmusik; - den Start aus dem Meer; - das Ausfahren des Landeschachtes; - die Tänze im "Starlight- Casino"; - den Begriff "Overkill"; - die Frogs; - die gleitenden Roboter; -die ruckartige Bewegung der Frog- Raumschiffe; - den steten Bezug zur Erdbasis (wichtiger Unterschied zur "Enterprise"!) - die Bordinstrumente der "Orion" (jawohl, auch das Bügeleisen!).

Unvergeßliche Szenen:

- Hasso und Atan untersuchen "MZ 4" und stoßen auf die Frogs; - auf Chroma ist der Boß eine Frau; - der Schriftsteller Ibsen und Commander MacLane werden gefoltert; - Tamara programmiert unter Telenose die Koordinaten von AC 1000; - die riesige Invasionsflotte der Frogs greift an.

Was fällt heute auf?

Es wird übermäßig viel über Befehle diskutiert. Cliff ist keineswegs der autoritäre, selbstherrliche Kommandant, den der militärische Apparat fordert. Nicht nur, daß er sich 68ermäßig mit seiner Mannschaft duzt, begeht er in bedrohlichen Situationen sogar Fehler und läßt sich korrigieren.

Ich bilde mir ein, irgendwo gehört zu haben, die "Raumpatrouille" sei nicht nach amerikanischem Vorbild entstanden, sondern vielmehr älter als "Startrek". Ob der "Orion" tatsächlich das Privileg gebührt, das All noch vor der "Enterprise" erforscht zu haben, ist mir allerdings recht gleichgültig. Wenn ich sagen würde, mir gefalle sie um Längen besser, so wäre das jedenfalls untertrieben. Zwischen beiden Serien liegen in meinen Augen ganze kosmische Dimensionen. Die "Enterprise" hat für mich nie den Status einer netten Unterhaltungsserie überschritten. Ich möchte sie nicht herabwürdigen; ganz zweifellos hatte auch sie ihre Momente und ihre "kultträchtigen" Besonderheiten (Spock, Beamen). Doch im Unterschied zur "Orion" hätte ich hier (im übertragenen Sinne) unablässig ausrufen können: "Das Bügeleisen, das Bügeleisen!" Startrek war eben - bei allem Bemühen - kein "Gesamtkunstwerk", sondern letztlich eine Wildwestserie, die an ins Weltall verlegt hatte.

Nebenbei konnte man in der "Raumpatrouille" viele interessante, fremdartige Wörter lernen, allen voran "eliminieren", "paralysieren" und das schaurig- schöne "Invasion". Zudem gab es erdachte Begriffe, mystisch anmutend und von der unnahbaren, chromglänzenden Kälte der Bordaustattung: "Lichtsturm", "Alarmstart", "Rücksturz zur Erde", "schlafende Energiereserve", "Sicherheitsalarm", "Lichtspruch", "Hyperspace", "interstellar", "galaktisch", "Kampfstand", "Lichtwerfer", "Strahlwaffe", "Visiophon", "Lesefilm"...

Was will ich eigentlich sagen? Daß "Orion" die bestmögliche Kinderstunde war?

Je länger ich Rückschau halte, desto mehr will es mir so scheinen. Wie kann ich von "Enterprise"- geschulten Zuschauern verlangen, daß sie beim Anblick des "Orion"- Kampfstandes nicht ausrufen: "Das Bügeleisen, das Bügeleisen!"

Ich denke über den inflationär gebrauchten Begriff "Kult" nach. Ist "Kult" das, was man einmal vollkommen ernst genommen hat, worin man mit Leib und Seele aufgegangen ist und das man heute aus teils liebevoller, teils selbstironischer Distanz betrachtet? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur: Wenn überhaupt irgend etwas "Kult" ist, dann die "Raumpatrouille"!

An welche kultträchtige Triade soll man sich heute klammern, da es keinen "Cliff Allister MacLane" mehr gibt und "Mercedes Daimler Benz" dank der A- Klasse zur Lachnummer verkommen ist? "Johannes B. Kerner?" "Hermann Otto Solms?" Ach, "Cliff" ist nur noch der Name für ein Deo...

Ich bin dankbar dafür, daß ich Cliff Allister MacLane und seine Mannschaft mit dem Herzen eines Kindes begleiten durfte, und bedauere die Kinder, die heute bereits im Alter von drei Jahren müde über jedes Kettensäger- Massaker lächeln. Sie ahnen nichts von den todbringenden Implikationen, die eine Alpha- Order des Galaktischen Sicherheitsdienstes mit sich bringen kann; sie ahnen nichts von Frogs, die von "AC 1000" Telenose- Strahlen aussenden und eine Supernova gegen die Erde lenken können. Sie ahnen nicht, welch blutgefrierendes Drama sich auf "MZ 4" zugetragen hat.

Arme, naive Kinder, die ihr glaubt, die Bedrohung der Erde gehe von Serienkillern aus!


Aus der © CHAT NOIR Mailbox: www.chatnoir.de und online unter diesen Rufnummern
Erste Veröffentlichung: 14.12.1997 von Holger
[Kommentar zu diesem Text in Forum "Star-Trek & Orion-Fanclub" schreiben]
[Forum "Star-Trek & Orion-Fanclub" lesen]
 
[Forum junger Autoren] [Home]