Weg in die Einsamkeit

Teil I - Wortdialog

Alles, was mir etwas bedeutet scheint mir weg zu schwimmen, ja geradezu vor mir zu fliehen. Schon bald werde ich da stehen: einsam an der Straßenecke, natürlich nur wenn es regnet. Aber es regnet ja sowieso andauernd. Und ich gehöre zu den persönlichen Lieblingszielen der Wolken.

Was sagst du? War ja vorherzusehen? Perfekter Egoismus? Anderen geht es auch schlecht? Danke, von dir hätte ich mehr erwartet.

Kann ja sein, dass ich nicht der einzige bin, der Pech hat. Aber niemand anders kenne ich so gut. Ich bin immerhin mit mir zusammen aufgewachsen.

Das nennst du Egoismus?

Dann, es tut mir echt leid, sind wir alle Egoisten. Allen voran natürlich die ältesten. Die kennen sich schon so lange. Aber was ist mit den Selbstmördern? Haben die sich selber umgebracht, oder nur dem besten und engsten Bekannten einen letzten Gefallen getan. Ungeachtet der eigenen Konsequenzen. Waren sie vielleicht bessere Freunde als wir? Sollte ich mir den selben Gefallen tun? Immerhin sehe ich doch, wie ich leide. Das möchte ich mir nicht mehr zumuten.

Was? Du sagst mir ich solle mit dem Scheiß aufhören? Weißt du denn nicht, was ich mir bedeutete? Ach ja, genau: ich bin schizophren. Klar, musste ja kommen.

Aber was ist, wenn ich mich dem Schicksal überlasse? Wenn ich einfach so sterbe. Dann, das sage ich dir, dann will ich auch nicht mehr weiterleben.

Du bist ja immernoch hier. Belustige ich dich mit meinem Gerede? Ist es das? Oder bist du echt interessiert?

Ich werde es nie erfahren. Du könntest ebensogut lügen, um mich "von meinem Wahnsinn zu heilen" oder "für mich da zu sein". Es ist egal. Vollkommen gleichgültig.

Würdest du weiterleben, wenn ich nicht mehr bin? Mit Sicherheit!

Du würdest vorgeben, mir ein paar Tage nachzutrauern. Dann würdest du mich vergessen: "War da mal einer? Und wenn schon." Dann würdest du dich vergnügen, feiern und endlich auf meinem Grab tanzen. Ja, genau! Und so einer nennt sich Freund. Wirklich, mit Freunden wir dir brauche ich keine Feinde mehr. Vielen Dank auch.

Teil II - Gedankenmonolog

So.

Jetzt ist er gegangen.

War ja klar.

Ich wusste gleich, dass er kein echter Freund ist.

Aber immerhin bin ich noch da. Ich werde immer für mich da sein.

Nun ist auch er davongeschwommen. Eigentlich hat er mir etwas bedeutet. Genau wie sie. Ja, für sie würde ich mich verlassen, einfach abhauen, nur um mit ihr zusammen zu sein. Was dann mit mir passiert, ist scheißegal. Dann bin sogar ich mir völlig egal.

Aber sie ist natürlich schon lange weg. Mit wem sonst, als mit meinem "Freund"? Es spielt keine Rolle mehr. Ich bin weggegangen, um sie zu finden und habe mich dabei alleingelassen.

Oh, es fängt an zu regnen. Mal sehen, ob ich mich da vorne an der Straßenecke wiederfinde.

Ich fehle mir.

Warum bin ich bloß gegangen? Nur um einem Traum hinterherzujagen?

Ich bin einsam.

Ich will nicht mehr.

Tanzt doch alle auf meinem Grab. Ja, so wird es sein. Alle werden sie tanzen.

Und in der Mitte als Antrieb der Menge steht mein Freund, sie und...

...wahrscheinlich auch ich.


Aus der © ChatNoir Mailbox: www.chatnoir.de und online unter diesen Rufnummern
Erste Veröffentlichung: 26.10.2000 von Kronn
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