Pentalogie

  • Mein Leben
  • Mein Tod
  • Herbst
  • Die Nähe
  • Mein Schlaf

  • Mein Leben

    So liege ich nun da und träume von den fernen Palmenbäumen, schaue dich an im Geiste, tanze mit deiner Seele am Hafen unserer Sehnsüchte, wo bald das große Schiff zu den Inseln unserer Geschichte ablegen wird. Sanft schlagen die Wogen gegen die Kaimauern, kleine weiße Schaumkronen versprühen ihr knappes Leben in der windbewegten Gischt. So halte ich deine Hand. Sie ist kalt vom Wind, der ihr die Wärme nimmt, klamm von den Erinnerungen, die dich bewegen.

    Damals sah ich dich zum erstenmal an jenem palmengesäumten Strand in deinem blumenbedruckten Kleid, mit dem die Brise spielte. Ich weiß nicht, wann es war, daß ich dich bemerkte, du hättest erst gerade eben dorthingelangen, hättest aber auch seit dem Anbeginn der Zeit dort sein können. Du schautest aufs Meer, schienst etwas jenseits des Horizontes zu sehen, das sonst kein Auge wahrnahm. Der Ausdruck von Wehmut in deinem Gesicht war derartig schön, daß sich meine Aufmerksamkeit sofort an dich band und ich dir im Geiste überallhin folgte. Ich weiß nicht, wann wir das erstemal miteinander redeten und wie es dazu kam. Wir saßen eines morgens am Strand ganz nah beieinander, unsere Füße im hellen Sand getaucht und unsere Blicke dem Meereshorizont zugewandt, wo sich Luft und Wasser einen. Die schlanken Stämme der Palmen ragten hoch in die Luft hinein, um in ihren Kronen ihre schattenreichen Blätter aufzufächern. Der Wind war an diesem Morgen etwas kräftiger und deine Wehmut noch ein bißchen tiefer. Wir sprachen über unsere Herkunft, über das, was wir so taten, über das Wetter und über all die Dinge, die so um uns sind. Wir besprachen alles, bis weder über die Zukunft noch über die Vergangenheit etwas zu sagen war. So saßen wir am Horizont der Zeit, wo sich Vergangenes und Künftiges zusammenfügen.

    Irgendwann richteten wir uns auf ind gingen zum Ufer, ließen unsere Füße vom immer wieder neugierigen Wasser umspülen. Die Spuren hinter uns verblaßten mit jedem Wellenschlag ein wenig mehr, solange bis sie eins waren mit den weiten Flächen des feuchten Sandes. Die Sonne stand noch nicht allzu hoch, trotzdem war es heiß. Die ewige Brise nahm uns den Schweiß und hüllte uns in ihre erfrischende Behaglichkeit ein. Es waren nur wenig Menschen unterwegs. Die Fischer waren schon früh, kurz vor Sonnenaufgang mit ihren kleinen Booten ausgelaufen und dümpelten jetzt auf dem offenen Meer. Du hattest deine Sachen schon gepackt, warst zum Aufbruch bereit, dein Schiff sollte am späten Nachmittag auslaufen. Ich sah nach unten auf die Sandkörner, wie sie vom Wasser durchwirbelt sich immer von neuem auf unsere Füße retten wollten. Wir gelangten zum Ende der langgestreckten Bucht und kletterten über schwarze Felsen und Kieß und sahen von dort aus die nächste nicht enden wollende Bucht mit ihrem hellen Sand und dem türkisen Meer, das ihn benetzte. So saßen wir auf einem Felsen, ließen zu unseren Füßen die Wellen geräuschvoll brechen. Wir sprachen von Dingen, die uns bewegten, von dem, was uns am meisten bedeutete, von dem, was wir am meisten liebten, von all den Dingen, die in unserem Innern lebten, solange, bis wir alles voneinander wußten. So saßen wir beisammen, auf den Felsen ein wenig über dem Meer schwebend, wo durch das auf uns zubrandende Wasser bisweilen der Eindruck aufkam, man befinde sich in einem ewigen Strom. Ich sah in dein Gesicht, es war nicht mehr so ganz voller Wehmut und dabei um so vieles schöner, als ich dich zum erstenmal erblickte. Wenn du redetest, bewegten sich deine Lippen sanft auf und ab und schienen mit den Lauten einer fremden Sprache einen nie gehörten Wohlklang zu formen. Wir stiegen wieder zum Strand hinunter, ich reichte dir meine Hand, du ergriffst sie, und ich führte dich an mich heran. So standen wir eine Weile ganz nah beieinander. Fühlten unsere Körper, ohne sie zu berühren. Wir atmeten die Luft, die der andere ausströmte und spürten das Leben des anderen, den Duft unserer Seelen.

    Wir gingen den langen Weg zurück zum Hafen. Die Sonne senkte sich schon ins Meer. Ein langer Streifen Lichtes führte vom Horizont über die Wellen zu uns. Du holtest dein Gepäck. Ich begleitete dich zur Anlegestelle, wo ein Schiff schon auf dich wartete. Es war blendend weiß und unermesslich groß, so als hätte ein Berg das Licht eines ganzen Tages in sich aufgenommen. Überall um uns herum dämmerte es schon. So gingst du den Steg entlang, langsam, gemessenen Schrittes, ich sah dir nach. Mit Tränen in den Augen verschwamm dein Anblick ein wenig. Ich wußte, ich würde dich nie wiedersehen. Kurz bevor du das Schiff bestiegst, wandtest du dich noch einmal um und winktest mir zu, wehmütiger und schöner denn je - du, mein Leben, nahmst Abschied von mir. Hinter mir im Dunkeln hatte der Tod bereits seine sanfte, aber bestimmende Hand auf meine altersmüde Schulter gelegt.


    Mein Tod

    Der Tag war blendend hell. Von der gleißenden Sonne lichtdurchflutet lag der weiße Sand vor mir. Im Schatten hoher Palmen saß ich, ein Bein mit den Armen umschlungen, das Kinn auf dem Knie, an einem schlanken Stamm gelehnt und sah hinaus aufs tiefblaue Meer. Von dort kam die frische Brise, die in den Palmwedeln hoch über mir für stete Unruhe sorgte, das Verweilen im Rauschen des Grüns, das sich mit dem Klang der Brandung verwob, aber um vieles angenehmer machte. Obwohl du nicht mehr da warst, sah ich dich immer noch am Ufer stehen. Der Wind befreite dein Gesicht von deinen Haaren, lediglich eine Strähne umschmeichelte deine rechte Wange, und beizeiten, wenn du von der Liebkosung genug hattest, wandtest du sie mit deiner schlanken Hand um dein muschelgleiches Ohr. Ich sehe immer noch dein helles, blumenbedrucktes Sommerkleid, wie es von der Brise fest an deinen Körper geschmiegt wurde, so daß sich vorne deine langen Beine, der leichtgewölbte Schoß und die wohlgerundeten Brüste abzeichneten, während es hinten im Rhythmus der Brise flatterte. Du schautest aufs Meer hinaus, so als erwartetest du, daß der Horizont demnächst etwas freigebe. Doch eigentlich schautest du wohl in die Zukunft, in deine und meine, die nun Vergangenheit ist.

    So sitze ich jetzt unter diesen Palmen, einsam in der Landschaft, die mir für die Ewigkeit meines Todes zugedacht wurde und träume von den Augenblicken meines nicht mehr zu erreichenden Lebens, das jenseits aller Zeiten auf mich wartet. Ich sehe uns, wie wir uns betrachten, mit einem Ausdruck den wir damals nicht begriffen, jetzt aber in unseren Welten jenseits des Lebens langsam erahnen. Schon damals fühlten wir unsere ewige Trennung, unsere Einsamkeit bis an das Ende der Zeit, belebt, teilweise verschlimmert, aber auch wieder versüßt durch Erinnerungen an die Dinge, wie sie einst geschahen als wir noch zusammen waren. Immer wenn wir miteinander schliefen und auf den Wogen unserer Lust ritten, spülte mich irgendwann die Brandung meines Höhepunktes an die Ufer der Verzweiflung, und ich lag auf dir wie ein gestrandeter Wal mit weitaufgerissenen Augen, allsehend, allbewußt, auf dem feuchtkalten Sand unendlicher Einsamkeit, wie ich sie jetzt hier in meinem eigenen Paradies, das zugleich meine Hölle ist, für alle Ewigkeit verspüren werde. Manchmal kommst Du mich besuchen, unter meinen Palmen. Du setzt dich vor mir nieder. Anmutig sind deine Beine angewinkelt und verborgen unter deinem Kleid, nur die Füße, an denen noch einzelne Sandkörner haften, und ein Teil deiner Unterschenkel mit den schlanken Waden und zierlichen Fesseln sind zu sehen. Du stützt dich auf deine linke Hand, die mit den Fingern in den Sand hineinfließt, und legst die andere auf das Knie des Beines, das ich umschlungen halte, ohne daß ich deine Berührung fühlen könnte. Wir schauen uns an mit jenem Ausdruck, den wir damals nicht verstanden und jetzt Antwort gibt auf alle Fragen, die wir jemals aneinander hatten.


    Herbst

    Langsam veblaßt du. Kommst immer seltener mich besuchen. Nur kurze Traumaugenblicke bist du bei mir. Die Gefühle versanden, immer mehr rückst du ins Vergessen, in mein Vergessen und Versagen. Ich sehe dich, der Sommer geht. Das Grün der Bäume ist übersatt, es neigt sich dem Verwelken, den braunen Farben des Herbstes zu. Deine Haare flattern ungeordnet im Wind. Strähnen verdecken dein Antlitz, kaum noch bist du zu sehen, deine Seele zu spüren. Meine Sinne schwinden, ihre Feinheit, die zarten Ausläufer, denen nichts entgeht, veröden und verrohen. Sie sind zu filigran für die starken Eindrücke des Herbstes. Der Wind peitscht durch das Unterholz. Die ersten fallenden Blätter wirbeln empor. Ein letztes Mal bäumt sich der Sommer auf, sich des sinnlosen Kampfes gegen sein Ende noch nicht bewußt. So schwindet die Sehnsucht nach dir. Das Meer ist bedeckt von grellweißen Schaumkronen. Die Palmenblätter wogen mächtig im Sturm, ihre Spitzen reißen ein. Noch ist der Himmel wolkenlos, scheinbar ruhig. Doch mehr und mehr verblaßt du. Wirst eins mit der Erinnerung an den Sand, das Wasser und die Palmen. Die Bilder werden kleiner, entfernen sich immer weiter. Sind kaum noch sichtbar, wie die Liebe zu dir. Je häufiger ich versuche die Vergangenheit wachzurufen, desto klarer wird mir, wie wenige Bilder mir noch von dir übriggeblieben sind. Ich sehe immer dieselben Figuren, erkenne dich kaum noch darin. Und je mehr ich sie sehe, je deutlicher sie werden, desto mehr schwinden die Gefühle, die dein Gesicht in mir hervorbrachte. Du schaust mich an, ich sehe dich jedoch nur mit den Augen, mein Herz ist grau geworden, erblindet Stück für Stück, und bald kann ich es nicht mehr ertragen, weil ich weiß, daß du einst das Zärtlichste in mir hervorbrachtest, und jetzt sehe ich dich, wie durch dickes Glas. Unerreichbar bist du geworden für meine Seele. Ich sehe dich wie einen weingefüllten Kelch, habe Durst, doch ich kann dich nicht trinken, weil der Mund dazu mir abhanden gekommen ist - ich habe den Mund verloren, mit dem ich den Wein deiner Liebe hätte trinken können.

    Ich denke an dich und die Zeit vergeht. Ich sehe dein Gesicht, deine Hände wie sie mir etwas sagen wollen. Deine Lippen bewegen sich, doch kann ich dich nicht mehr hören,weil ich jetzt jenseits von dir bin. In einer anderen Welt, wo die Sprache nicht mehr tönt, wo die Töne nicht mehr klingen, wo Klänge nicht mehr sprechen. Stumm liegt alles um mich herum. Sehen kann ich noch, doch hören kann ich dich nicht mehr. Die Erinnerung trägt mich wieder einmal fort. Ich sehe die sanften, weinrebenbestandenen Hügel. Rasch ziehen die Wolken dahin und gewähren den Sonnenstrahlen bisweilen den Durchlaß, so daß die Lichter- und Schattenfelder abwechselnd die Landschaft umschmeicheln. Von der Ferne schlagen Kirchturmglocken und verkünden die Unvermeidbarkeit der Vergänglichkeit, das gnadenlose voranschreiten der Zeit. Mir ist nur die Erinnerung geblieben.


    Die Nähe

    Das Leben ist so voller Sehnsucht, so voller Durst nach Taten und Dingen, die wir ahnen, nach denen wir uns strecken, doch greifen werden wir sie nie. Wenn wir unsterblich wären, alle Zeit der Welt hätten, so würden wir uns irgendwann, irgendwo mindestens einmal treffen. Das ist die Physik der Teilchen in einem geschlossenen Raum, die ungerichtet hin und her fliegen und irgendwann einmal aufeinanderstoßen mit der Mathematik absoluter Gewißheit. Der Physik von uns Sterblichen aber ist durch das Element des Todes das Unbestimmte beschieden. Wir können hoffen aufeinanderzutreffen, sind vielleicht meistens aber darüber froh, daß wir es nicht tun. Doch manchmal, wenn wir solch ein Teilchen neben uns fliegen sehen, dann wünschen wir es zutiefst, haben sogar die Kraft uns zu nähern, doch ob wir aufeinandertreffen werden, das vermag nur das Schicksal zu entscheiden. Hoffnungsvoll die Momente der Näherung, der Abstand wird geringer, umso schlimmer trifft uns der Augenblick, wo wir merken, daß der Augenblick der geringsten Entfernung vorbei ist und der Abstand wieder größer wird. Mit letzten Kräften vollziehen wir Gewaltakte, versuchen im Raum der Zeitläufte uns eigenständig zu bewegen, doch bewirken können wir nichts. Resigniert geben wir uns dem Unvermeidlichen hin, warten und hoffen auf die nächste Gelegenheit, die vielleicht nie kommt - das ist die Vergeblichkeit des Lebens.


    Mein Schlaf

    Mein Schlaf ist ein dunkles Tier, das mich jede Nacht von neuem überfällt. Seinen warmen Körper um mich schmiegt, tief seine bunten Krallen in mir vergräbt und mich in die Abgründe nie gesehener Welten reißt. Dort liege ich dann blutend und sterbe ganz langsam.
    Mein Blut versickert in einem weichen Boden aus blauem Samt. Ich schaue in den weiten Himmel meiner Nacht und sehe all die Sterne, die in weiter Ferne unerreichbar nur für mich scheinen, sehe den Mond, der die Gezeiten meiner Gefühle bestimmt und spüre den Hauch des nächtlichen Windes, der meine Gedanken zu dir trägt. Dort sehe ich dich, wie ich dich niemals sah. Dort strahlt der Tag mit dir im Licht einer Sonne, das deinem Antlitz die Farbe unaussprechlicher Sehnsucht verleiht. Die Vögel in den goldenen Bäumen singen die Lieder der vergangenen Tage als wir in unseren Augen kleine leuchtende Fische erkannten, die im Meer unserer Wünsche schwebten.
    So liege ich nun am Boden. Du kniest vor mir, und ich spüre als letztes deinen Atem wie er meine Wangen streift. Im Tode erst schmiegst du deine Lippen an die meinen zu einem Kuß, den ich nicht mehr fühle. Dein Kopf liegt auf meiner Brust und du horchst nach einem Herzen, das nun nicht mehr für dich schlägt. Denn die kalte Hand des Morgengrauens hat mich umgebracht. Im sanften Licht der milden Dämmerung hast du mich an den Tag verloren. Jetzt bricht die Helligkeit in eine Welt hinein, in der wir uns nie sahen. Dort singen Vögel in grünen Bäumen Lieder, die wir nur aus unseren Träumen kennen. Manchmal wende ich mich plötzlich um, weil ich hinter mir ein dunkles Tier vermute und sehe dich in den Schatten kleiner Wolken, die einsam durch den klaren Himmel ziehen. Ich suche dich im Tage, in dessen Nacht du mich nicht mehr finden konntest.


    Aus der © CHAT NOIR Mailbox: www.chatnoir.de und online unter diesen Rufnummern
    Erste Veröffentlichung: 21.8.99 ("Herbst"), weitere Abschnitte aus: http://userpage.fu-berlin.de/~bohne/Pentalogie.html von Fridolin
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