Der Tag nach den Wahlen

Wir begrüßen in unserem Bonner Studio die Vertreter der wichtigsten Parteien. Herr Binse, ist der Ausgang der heutigen Wahlen nicht ein Schlag ins Gesicht für alle demokratischen Kräfte?

Binse: Also, zunächst einmal möchte ich sagen, daß es an diesem Ergebnis überhaupt nichts zu beschönigen gibt. Es ist nämlich eines der schönsten Ergebnisse, die wir überhaupt jemals erzielt haben.

Aber Herr Binse, Ihre Partei ist doch im Bundestag überhaupt nicht mehr vertreten!

Binse: Das sind pure Unterstellungen, und das wissen Sie genau! Halten wir uns doch einmal an die Tatsachen! Wer von uns hätte noch vor fünf Tagen geglaubt, daß wir den verheerenden Trend, dem unsere Partei ausgesetzt war, auf so drastische Weise würden stoppen können? Noch vor wenigen Tagen sagte man uns Ergebnisse von nicht einmal 4% voraus. Wenn man dann noch die übliche Abschreibung berücksichtigt, der wir als Parteibetrieb nun einmal unterliegen, kommt man schnell auf 1-2%; jedenfalls wenn man linear abschreibt.

Herr Binse, sie reden sich doch um Kopf und Kragen! Finden Sie nicht, es wäre jetzt an der Zeit, ein paar ganz neue Visionen zu entwickeln, um der Partei aus diesem historischen Tief herauszuhelfen?

Binse: Sie wissen wohl nicht, wovon Sie reden. Ich fordere ja schon seit Jahren eine ganz neue Abschreibungsmethode, um unseren grandiosen Kampf gegen die Stimmenverluste in ein besseres Licht zu rücken. Ich werde jedenfalls nicht rasten und nicht ruhen, bis den Pfuschern von INFAS und wie sie alle heißen ihr elendes Handwerk gelegt ist.

Herr Verleugnen, angesichts solchen Kampfesmutes kann Ihre Partei wohl einpacken...

Verleugnen: Nein, ich muß sagen, das war zwar eine recht erbauliche Predigt von Herrn Binse, er hätte aber lieber eine Rede zum Jüngsten Gericht halten sollen - dieses wird nämlich jetzt über seine Partei abgehalten.

Nun, Herr Verleugnen, Ihre Partei kann alles in allem auf gerade einmal drei Stimmen verweisen - haben Sie da ein Recht, ein solch großes Wort zu führen?

Verleugnen: Mein lieber Herr Fug, es geht doch hier nicht um zwei oder drei Stimmen mehr oder weniger, sondern um die konkreten Sachthemen. Wir müssen schließlich auch einmal an die Menschen denken! Und da haben wir, denke ich, gerade auf kommunaler Ebene sehr viel durch unsere Zweitstimmenkampagne erreicht. Unsere Klage vor dem Bundesverfassungsgericht hat außerdem bewirkt, daß unsere Partei nicht mehr auf dem zweiten Listenplatz steht, sondern nunmehr auf der Rückseite des Stimmzettels, und zwar in kyrillischer Schrift. Ein verfassungsrechtlich sehr kompliziertes Konstrukt, die aber unser Rechtsexperte Max Däubler-Schmeling nach jahrelanger Vorarbeit endlich durchboxen konnte.

Herr Binse, Herr Verleugnen, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Guten Abend.


Der Tag nach den Wahlen - Teil II

Guten Abend, meine Damen und Herren, wir melden uns hier wieder aus unserem Bonner Studio zu einer neuen Spitzenrunde. Ich begrüße zunächst wieder Herrn Binse.

Herr Binse, die rote Linkspartei hat ja nun die absolute Mehrheit errungen. Wir wollen Sie als Oppositionsführer mit diesem erschütternden Ergebnis umgehen?

Binse: Nun ich denke, wir haben eine solide Grundlage für eine Zusammenarbeit, auf der wir aufbauen können. Wir wollen weiterhin den Kanzler und den Wirtschaftsminister stellen, dann steht der Zukunft Deutschlands nichts im Wege.

Aber denken Sie nicht, daß die rote Partei selber den Bundeskanzler stellen will? Immerhin konnte sie 96,96% der Stimmen auf sich vereinigen...

Binse: Begreifen Sie doch, die rote Partei kann einfach nicht auf uns verzichten. Vor allem die schändlichen Liberalisten müssen wir bekämpfen. Auf in die Zukunft, aber nicht auf gelben Socken!

Herr Spießi, wie kommt es eigentlich, daß Ihre Partei mit einem derartigen Traumergebnis aufwarten konnte?

Spießi: Oh, für solche Fragen bin ich nicht zuständig, da fragen Sie lieber unseren amtlichen Wahlleiter, Herrn Trends.

Herrn Trends?

Spießi: Ja, Egon Trends, genauer gesagt...

Herr Trends, wie verlief der Wahltag aus Ihrer Sicht?

Trends: Oh, die ganze Gegend war wirklich ein Platz des Himmlischen Friedens! Freundliche Wahlhelfer winkten dem Volk aus ihren gesicherten Fahrzeugen entgegen und gaben auch ab und an ein paar Orientierugsschüsse ab.

Irgendwelche Komplikationen in den Wahllokalen?

Trends: Oh nein, es ist ja auch ganz einfach: Zettelchen falten und -schwupps!- ab damit... Wer nicht wußte, wie man den Zettel richtig faltet, wurde von unseren Mitarbeitern in eine Info-Kabine geführt und dort erst einmal von einer freundlichen Salve empfangen.

Ah ja... verstehe. Herr Spießi, welche Partei wird denn nun den Bundeskanzler stellen? Ihre oder die des Herrn Binse?

Spießi: Mein lieber Herr Fug, wir werden natürlich beide den Bundeskanzler stellen. Aber, versteht sich, erst nach einer gewissen Zusammenführung unserer Parteien. Die Zeiten der Trennung sind schließlich vorbei und Herr Binse wollte ja die Einheit - nun haben wir auch endlich wieder eine Einheitspartei!

Binse: Ich habe schon ein entsprechendes Plakat vorbereitet...

Herr Binse, Herr Spießi, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Guten Abend.


Der Tag nach den Wahlen - Teil III

Ich freue mich, meine Damen und Herren, daß Sie noch einmal zu uns rübergeschaltet haben. Ich darf Ihnen auch gleich einen Überraschungsgast präsentieren. Herr Mörder, mit Ihrer Ankunft hätte man heute abend wahrscheinlich am wenigsten gerechnet.

Mörder: Jawohl! Habe mich genötigt gesehen, von der anderen Seite der Medaille herabzusteigen und mal wieder das Heimatgebiet zu obervieren. Muß schon sagen, die aktuelle Lagemeldung ist äußerst ernst. Äußerst ernst!

Herr Mörder, was wollen Sie nun im Fall der Aufkleberaktion unternehmen?

Mörder: Aufkleber? So so! Aha! Bitte gehorsamst mich aufzuklären, um welche Art von Aktion es sich dabei handelt?

Nun, an mehreren zivilen PKW's sind Aufkleber gefunden worden mit der Aufschrift "Alle Soldaten sind Selbstmörder".

Mörder: Soso! Aha! Das ist ja wohl ein infamer Rufmord! Muß sagen, wenn sie mich da nach meinen Unternehmungen fragen, so werden diese Barbarossa in nichts nachstehen. Nicht wahr? Ja!

Aber sie haben doch von dem Urteil des Bundesverfassungs...

Mörder: Abtreten! ... Will sagen, lassen se mal gut sein, wird alles noch erledigt. Komme nun zum eigentlichen Kernpunkt meiner verfrühten Rückkehr... Wie die Lagesondierung ergeben hat, hat sich mittlerweile einiges bolschewistisches Pack in den Parlamenten eingenistet. Sollen stellenweise schon die Macht übernommen haben. Bitte von Ihrer Seite um aktuellen Bericht?

... Herr Binse?

Binse: Nun, davon verstehe ich nicht viel, aber ich könnte Ihnen aus meiner Bibel...

Mörder: Herrgott! ... Will sagen, gibt es denn hier nur noch Gottes- und Götzendiener? Gut, gut. Wenn die Informanten schweigen, müssen die Waffen sprechen. Ich werde diese rote Brut sanft mit einem Bombenteppich zudecken, und der Bundeskanzler wird dann noch den Mantel der Geschichte drüberlegen.

Nun, Herr Mörder, vielleicht ist es noch nicht zu spät für einen Vermittlungsversuch. Einer der höchsten Amtskandidaten des Staates ist extra gekommen, um Sie zu beschwichtigen. Herr Leidmann, bitte sprechen Sie!

Leidmann: Ich muß sagen, das ist alles eine ganz gemeine Kampagne gegen mich. Dabei hatte ich doch in meinem Aufsatz "Ich habe es nicht so gemeint" alles klargestellt, ich meine alles was für die Relevanz von entscheidender Bedeutung ist oder zumindest doch sein könnte. Ich... Argghh!

Oh, mein Gott, er ist getroffen... Er stirbt!

Mörder: Oh Entschuldigung, Herr Leidmann, das ist mir nur so rausgerutscht! ... Ha!

Zum Glück haben wir noch einen Vermittlungskandidaten eingeflogen. Guten Abend, Herr Flau!

Flau: Herr Mörder, sie können einen von uns umnieten oder auch mehrere. Aber wir, die ehemaligen Kanzler- und Präsidenschaftskandidaten, sind immer noch zahlreich genug, um Ihnen die Stirn zu bieten!

Mörder: Nichts da! Sie kommen später dran. Jetzt muß ich erst einmal diesen elenden Trends finden.

Trends: Oh, Herr Mörder! Ich darf Sie sozusagen wie einen Bruder begrüßen. Ich habe einen Dialogplan für uns aufgestellt, denn etwaige Barrieren zwischen uns müssen ja weg!

Mörder:Ich würde eher sagen, Ihre Visage muß weg...

An dieser Stelle, verehrte Zuschauer, sind Sie gefragt. Was ist dieser Situation hinderlicher? Mörders Kompromißlosigkeit oder Trends Visage? Rufen Sie uns an! -- Herr Flau, wie würden Sie in dieser schwierigen Lage entscheiden?

Flau: Das ist jetzt ein Punkt, der sofort entschieden werden muß. Da müssen jetzt einmal alle Parteien Ihre Vorschläge auf den Tisch legen. Da darf man sich nicht entmutigen lassen...

Herr Mörder, Herr Binse, Herr Trends, Herr Flau, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Guten Abend.


Aus der © CHAT NOIR Mailbox: www.chatnoir.de und online unter diesen Rufnummern
Erste Veröffentlichung: 30.9.1994 von Golo
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