Gestern und in alle Ewigkeit

Copyright © 1998 Miron Schmidt.
Revision 4.
Geschrieben am 8.1.1998.

Gestern früh bist du gestorben, weißt du noch?

Ich nahm deine Hand in meine und streichelte sie, und du lächeltest und sagtest: ``Auf Liebe'', und ich lächelte auch und weinte und nickte; und dann sank dein Kopf auf das Kissen, und du blicktest mich lange an, und der Glanz in deinen Augen wurde schwächer.

Ich schlug die Decke beiseite und legte mich neben dich und nahm dich in die Arme, und dein Rücken bog sich weit durch, und deine Haare breiteten sich stumpf auf dem Kissen aus, und du lächeltest noch. Und ich massierte deine weichen Schultern und schlief bald ein.

Als ich wach wurde, Mondlicht auf uns, wolltest du mich nicht loslassen. Deine Hand klammerte sich weiß um meine, dein Kopf hob sich fragend; also legte ich mich wieder vorsichtig und rieb deinen kalten Bauch, und deine Muskeln waren so hart--als hättest du Angst vor mir. Aber deine Haut war zart unter meinen Fingern. So lagen wir lange umschlungen, und ich küßte dich, und du hieltest mich fest.

Schließlich bog ich vorsichtig deine Finger beiseite und löste mich von dir: und du warst so ruhig und schön und im schwachen Licht sehr glücklich.

Ich setzte mich unten auf das Sofa und trank einen Schluck Wein. Und ich wußte, was ich tun mußte; ich will nicht, ich will dich nicht verlassen. Ich habe dir noch so viel zu sagen, ich bekomme keine Luft ohne dich, ich bin nicht ganz, ich liebe dich, und du läßt mein Herz schlagen.

Heute morgen wollte ich dich waschen, aber du stemmtest dich gegen mich, als ich dich anheben wollte. Eins deiner Beine knickte beiseite, und dein Knie knackte böse. Du sahst mich traurig an, dein Lächeln erschlafft. Gut, sagte ich, gut, gut, und gab dir einen kleinen Kuß auf die Stirn.

Aber eine Stunde später warst du ganz gelockert, und es ging ganz einfach--auch wenn dein Kopf zur Seite fiel, als ich dir die Haare kämmen wollte. Du warst so weich, als schliefest du, und einmal drang sogar ein wohliges Geräusch über deine Lippen.

Deine Haut ist weiß und deine Lippen rot: schöner denn je. Ich habe seither deine Augen geschlossen und dich angezogen; aber nackt bist du wundervoll. Deine Rippen scheinen unter der straffen Haut hervor. Du warst ganz kalt, also setzte ich dich auf einen Stuhl und schob dich eine Weile in die Sonne. Danach war es ein wenig besser.

Ich kann nicht genug von dir kriegen; ich schaue dich an. Draußen ist es dunkel geworden. Eine Fliege hat sich auf dich gesetzt: warte, ich verscheuche sie.

La uns zusammen alt werden, ja? Bitte, mach mir den Gedanken jetzt nicht kaputt. Ich weiß schon, daß ich nur träume--aber du bist so schön, so jung.

Ein paar Tage noch; nur solange, bis man es sieht.

Nur noch ein paar Tage.


Der auf dieser Seite aufgeführte Text darf weder als Datei noch als Ausdruck kopiert werden. Näheres dazu in der Lizenz.

[Dimento redet]
[HOME]