Was psychisch labile Menschen im Kino erleben

Copyright © 1998 Miron Schmidt.
Revision 7.
Geschrieben ca. 1988; überarbeitet ca. 1994.

``Liebst du mich?'' fragt er.

``Ja.'' antwortet sie.

``Würdest du alles für mich tun... durch die Hölle gehen?''

``Ja.'' Schmunzelnd.

``Dann tu es!'' Und seine Augen verändern sich. Der zärtliche Blick, die fahrige Bewegung seiner Augen, wenn er sich nervös umgesehen hatte, ob sie auch keiner bei dieser Liebeserklärung beobachtete, das alles verschwindet von einer Sekunde zur anderen. Seine Pupille und die sanftbraune Iris drehen sich nach oben, und der Augapfel scheint sie anzustarren.

Seine Hand, vor ein paar Sekunden noch zitternd, schweißnaß, mit einem Blumenstrauß geschmückt, wölbt sich krampfartig nach innen, die Haut gibt Fell frei, das sich ausbreitet.

Seine Hand (Klaue) stößt nach vorne, auf ihr entsetztes Gesicht zu, und...


Raymond wandte sich ab. Seine rechte Hand, die er impulsiv um Marions Schulter gelegt hatte, verkrampfte sich, und Marion gab ein knarrendes, schmerzerfülltes Geräusch von sich, als seine Fingernägel sich durch den Stoff ihrer Bluse bohrten, in ihr Fleisch.

Raymond konzentrierte sich auf eine angedrückte Coladose auf dem Boden vor ihm. Durch den Kinosaal schallten die Meisterwerke der Geräuschemacher.

Als Raymond wieder hinschaute, flüsterte ihm Marion etwas zu. ``He, ich wußte ja nicht, daß du kein Blut sehen kannst. Ich find' den Film auch nicht so...''

Raymond schnitt ihr das Wort ab. ``Wenn ich dich schon mal einlade, dann bleiben wir auch bis zum Ende.''


Er ist nun wieder ein Mensch. Er wendet sich von den Überresten eines Mädchens ab, das dumm genug war, ihm ihre Liebe zu beteuern.

Er holt eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche, zündet sich eine an.

Szenenwechsel.

Ein Wolf springt durch das Fenster einer Fünfzimmerwohnung. Während die Scherben noch zu Boden fallen, die klirrenden Geräusche noch nicht verklungen sind, grinst der Wolf eine etwa fünfunddreißigjährige Frau an. Noch bevor sie irgendeine Reaktion zeigen kann, stürzt der Wolf sich auf sie und...


Raymond verließ den Saal. Es war ihm peinlich, denn er sah die feixenden Blicke der Leute, hörte Teenager über ihn kichern und ihm hinterherblicken. Er durchschritt den Vorraum und fand sich auf der Straße wieder. Mit schnellen Schritten suchte er sich eine Seitengasse, die von wenigen Laternen in schummriges Licht getaucht wurde, und in der sich der Müll neben den Mülltonnen türmte.

Keuchend blieb er stehen, an die Wand gelehnt, sich die Brust haltend, nach Luft ringend.

Er wandte seinen Kopf nach rechts und sah Marion, die mit besorgtem Gesichtsausdruck heraneilte.

``Fehlt dir auch nichts?'' fragte sie.

``Liebst du mich?'' wich er aus.

``Ja.'' antwortete sie.

``Würdest du fr mich alles tun... durch die Hölle gehen?''

``Ja.''

``Dann tu es!'' Und seine Augen verändern sich...

ENDE


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